Die Abenddämmerung lässt Märwald erschöpft, aber zufrieden aus der Kaserne treten. Zu Fuß macht er sich auf den Nachhauseweg. Viele unbiegsame Gedanken zum Manöver schwirren umher, wollen seine Aufmerksamkeit, bekommen sie aber nicht zur Gänze. Hin- und hergerissen, zwischen Leben und Traum, dem Übungsgelände in Neustadt und einem weiten Rosenfeld in Shiraz, verläuft er sich in der Innenstadt. Den Albrechtsplatz gerade zu seiner linken, hört er die vertraute Stimme eines guten Freundes hinter sich.

„Märwald! So bleib doch einmal stehen! [er bleibt stehen, dreht sich um] Ja, jetzt sag' einmal, Märwald, was hörst denn net? Willst nix mehr mit mir reden? Gemma zum Eibesbrunner ... und reiß dich zusammen, ich hab' nämlich die holde Weiblichkeit im Schlepptau. Ja, was schaust denn so entgeistert?“ 

Gustav Triebich, Student der Medizin, etwa im Alter von Märwald hat sich fein herausgeputzt – Aussehen und äußerer Eindruck scheinen ihm von größter Wichtigkeit. Zuweilen blitzt durch das dandyhafte Gehabe eine aufgesetzte Lässigkeit. Sein Vater, ein bekannter Arzt, der sich auf Haut- und Geschlechtskrankheiten spezialisiert und sich über Kunden nicht beklagen kann, weiß von den amourösen Eskapaden seines Sohnes nichts, führt ihm aber immer wieder eindringlich vor Augen, wie man an Syphilis elendig zu Grunde geht. Triebich schildert seinen Freunden dann die gräulichen Details in aller Deutlichkeit. Macht sich einen Spaß daraus. Und ängstigt sich doch immer wieder aufs Neue. Heimlich. Nur Märwald vertraut er sich da an.  

Triebich deutet mit dem Kopf auf die andere Straßenseite, wo in der Tat zwei junge Damen zu ihnen herüber sehen. Märwald, dem weder nach einer Plauderei und schon gar nicht nach weiblichem Amüsement ist, versucht der Aufdringlichkeit Triebichs zu entgehen. Doch so einfach gibt sich dieser nicht geschlagen, weil er eine sexuelle Unausgeglichenheit seines schlaffen Gegenübers vermutet, die nur durch vaginale Vergnügungen zu kurieren ist.

[...]

Wenig später, nachdem wieder brav getrunken und gescherzt wurde, nimmt Fanny ihre Schwester bei der Hand. Mit den Worten 'das Naserl pudern' entschuldigen sie sich. Die Männer sehen ihnen nach.

„Pass mal auf, Märwald,“, beugt sich Triebich näher zu ihm, „wir können uns doch zu viert ein Zimmer nehmen. Für ein, zwei Stunden. Die Fanny hätt' nix dagegen. Sie hat's mir ... also, vorhin hat sie's mir zu verstehen 'geben. Wie? Ja, ich weiß schon, was jetzt kommt. Ja, du hast ja Recht, sie ist net die Schönste, aber ... ich meine, die Zimmern sind doch eh so dunkel. Ach, jetzt sei kein Mimoserl, die Liesl möcht's doch genauso. Hast du's ihr denn net angesehen? Vergehen tut sie vor dir. Dem Mädel könntest keinen größeren Gefallen machen. Ich sag dir, die möcht's genauso wie du? Was? Sag bloß, bei dir steht die holde Weiblichkeit Schlange, dass du einmal ... na gut, ich mein', mir ist's ja schließlich und endlich egal, wie du dein Liebesleben pflegst, aber ... als guter Freund und angehender Medizinalrat darf ich dir doch den Rat geben, dass du dich net immer so kasteien sollst. Das soll sich aufs Gehirn schlagen. Ja, wirklich wahr. Ich hab's erst gestern wieder g'hört. Ach, die Liesl wär' dir dafür ewig dankbar. EWIG! Sie ist doch so ein liebes Tschapperl, oder? Ja, ja, sie kann halt keine Fanny sein [lacht kurz], aber wer weiß, vielleicht blüht die Liesl ja in deinen Händen auf? - Ach Gott, Märwald, muss ich grob zu dir werden? Gib doch deinem kalten Herzen einen Stoß, ha? [nasal] Oder ist die Dame für eure Hochwohlgeboren zu minder? Soll ich die fürstliche Kurtisane vielleicht bitten? [trommelt mit den Fingern] Also, was ist jetzt? Muss sicherlich schon eine Ewigkeit bei dir her sein, das letzte Mal, ha? Schaden tät's dir sicherlich net ...“ 

Märwald, dem eindringlichen Ansturm seines Freundes nicht gewachsen, lässt sich geschlagen in den Sessel zurückfallen, gibt Triebich nur mehr zu verstehen, dass er zwei Zimmer nehmen möchte und natürlich beide bezahlen wird. Er kennt den Schnorrer in seinem guten Freund. Triebich lehnt sich wieder zurück. Nimmt einen großen Schluck. Lächelt. [weiter]

 

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Auszug aus [Kapitel 4.19] "Vom Albrechtsplatz zum Eibesbrunner - Fanny & Liesl"