[...] Graf von Popovic zieht seine Taschenuhr aus der Weste.

„Eine gute halbe Stunde ist es noch, bis sie mich verlassen, nicht?“

Märwald, der seinerseits einen Blick auf seine kleine silberne Taschenuhr wirft, bejaht. Die Gesichtszüge des alten Grafen entspannen sich.

„Gut, gut! Dann würde ich vorschlagen, wir gehen die Kärnthner Straße hinunter, bis zu unserem altehrwürdigen Dom. Ist Euch schon aufgefallen, Märwald, dass auf diesem Platz immer ein stetiger Wind weht? Fast scheint es als wollte jemand die bösen Dämonen verblasen.“

Sie überqueren den Kärnthner Ring, müssen dabei Acht geben, nicht von den Kutschen und Pferdefuhrwerken übersehen zu werden, lassen die architektonisch verunglückte k.u.k. Hofoper zu ihrer linken Hand liegen, biegen, ohne es absichtlich zu wollen, in die linke Donner Gasse und gehen zum Neuen Markt, vorbei am Ausgangspunkt ihres Spaziergangs, als der alte Graf mit seinem Spazierstock auf das Hotel Meissl und Schaden deutet und ihm erklärt, dass hier einst das Haus stand, in dem Joseph Haydn wohnte und die Kaiserhymne komponierte. Er beginnt die Melodie zu 'Gott erhalte' leise zu summen. Wie sie den Neubau hinter sich lassen, lässt er die Hymne ausklingen. Gehen weiter. Kreuzen den 'Stock im Eisen' Platz, sehen den beeindruckenden Stephansdom vor sich und bleiben vor dem Haupttor stehen. Gehen um den Dom herum, legen immer wieder den Kopf in den Nacken, spüren den stetigen kühlen Wind, der die Stimme vom Grafen zum Leutnant trägt.

„Ich wundere mich immer wieder, Märwald, wie man diese große Kirche mögen kann, mit ihrem halben zweiten Turm. Sie ist ein steinerner Krüppel, unfertig, nichts Ganzes. Hier, auf einem Platz, wo keiner ist, zwischen kleinen Gassen und Straßen, in Mitten des stinkenden Pferdemists, hat man ihn eingepfercht, ragt er hervor und auch wieder nicht. Andere, sogar kleinere Städte haben imposantere, beeindruckendere Dome! Aber bevor ich mich in hässliche Worte versteige, muss ich gestehen, dass er mir ans Herz gewachsen ist, in seiner so wehleidigen, melancholischen Art. Er entspricht dem Wiener Gemüt vortrefflich, das sich so mächtig und besonders glaubt, bis man über die Unzulänglichkeiten, zuweilen großen Schwächen befindet, sie aufdeckt. Was bleibt? Wehmut! Aber mit ein oder zwei Glaserln Wein sehen die innere Befindlichkeit und der Steffl wieder besser aus. Und wisst Ihr warum? Weil er uns zu verstehen gibt, dass man es nicht zu einer begnadeten Vollendung bringen muss, um berühmt und sagenumwoben zu werden!“ [...]  [weiter]

 

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11
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Auszug aus [Kapitel 8.28]  "Innere Stadt - Die zwei Seiten einer Medaille"