[...] Die Fahrt führt sie nach Neustift bei Wien. Die Straße endet vor dem letzten Haus, dem Haus der Trotts, bevor der dichte Wald einsetzt und in eine unbedeutende Hügelkette übergeht. Die große Villa mit ihren vielen Fenstern und Erkern erinnert mehr an ein verwunschenes Burgschloss, denn an eine Stadtbehausung. Die gotische Ernsthaftigkeit und die romanische Schlichtheit der beiden Seitenteile vermischt sich in ungewohnter Weise mit der barocken Verspieltheit des Mittelteils. Die breite Freitreppe, die sich links und rechts zum überdachten Vorbau windet, führt den Besucher ins Haus. Familie Märwald wird von Franzl in Empfang genommen – die Bediensteten kümmern sich um die Garderobe – und von ihm in den neuen Wintergarten geführt. Bewunderndes Geraune der Eltern, ob der neuen Reliquien und Artefakte, die vor nicht all zu langer Zeit angekauft und in den Durchgangszimmern platziert wurden. Es schmeichelt ihnen, diesen Kostbarkeiten, bestaunt zu werden. Die Trotts und die Tausings sitzen bereits an der Tafel, die reichlich gedeckt ist. Weinreben schlängeln sich an schmalen Säulen entlang und empor, während die eine oder andere Palme ihr schützendes Dach über die Gäste beugt.

[...]

Die älteren Herrschaften stehen an der Balustrade der Freitreppe und blicken in den vorderen Teil des Gartens. Franzl und seine Dienerschaft versuchen, soweit möglich, sich dezent im Hintergrund zu halten. Ein kurzer Blick, eine, für fremde Augen kaum wahrnehmbare Geste ist völlig ausreichend um das Gewünschte – ein Gläschen Sekt, ein kleines Horsd'oeuvre – augenblicklich zu bekommen. Baron von Trott, an einer Zigarre rauchend, erzählt dem alten Märwald, dem alten Tausing gerade die Geschichte dieser Villa. Sein Großvater war es, der durch Zufall die Bekanntschaft mit dem reichsten Mann von Wien machte – einem jüdischen Tuchhändler aus Polen, der sich dieses Anwesen bauen ließ. Bauen mag hier nicht zutreffend sein. Er ließ bekannte Ruinen und berühmte verfallene Häuser aufkaufen, abbauen und setzte sie gemeinsam – Stein für Stein, Stein auf Stein – zusammen. Deshalb diese obskure Mischung aus unterschiedlichsten Baustilen, die nie zusammenpassen wollten. Aber irgendwie, so der alte Trott, sei ihm das Haus schon so vertraut, dass er sich gar nicht mehr vorstellen könnte, woanders zu wohnen – abgesehen von der Stadtwohnung, die ihm aber viel zu klein geraten sei. Großvater Trott war es also, dem der Tuchhändler all seine Fabriken und Liegenschaften überließ. Um eine Bagatelle, wie dem alten Trott immer wieder versichert wurde. Auf den verwunderten Gesichtsausdruck des alten Märwalds, wird ein kräftiger Zug von der Zigarre genommen, die Asche abgeklopft und genickt. Ja, antwortet er, das weiß keiner so genau, warum der Jude all sein Hab und Gut für einen Bettel von sich warf. Man munkelte, weil er Frau und Kind an einem einzigen Tage, hier auf diesem Anwesen, im hinteren Teil des Gartens Tod aufgefunden haben soll. Sie saßen wohl gerade vergnüglich zusammen als sie der Baum erschlug. Die verfluchte Laube gibt es heute noch. Der alte Märwald zuckt zusammen, aber der Baron schüttelt den Kopf, gibt ihm zu verstehen, dass es sich selbstverständlich nur um die Hirngespinste eines gebrochenen alten Mannes gehandelt haben, der seinen Kummer nicht ertragen konnte. In der dritten Generation der Trotts ist bis heute noch nichts Ungewöhnliches vorgefallen, abgesehen von den Bauchumfängen, die immer größer werden. [...] [weiter]

 

 

Minoritenplatz
Taborstraße
11
Albrechtsplatz
Stephansplatz
Café Central
Neustift

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Auszug aus [Kapitel 10.41]  "Villa Trott - Das Ostermahl"
Auszug aus [Kapitel 10.42]  "Im Garten der Villa Trott - Sophies Nachricht (Demodokos)"