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Freitag, 30. März 2007 - 13h57
© Richard K. Breuer

 

Die Leipziger Buchmesse 2007. Dort war er also für zwei Tage, der (sich selbst so benennende) Dichter zu Wien. Eindrücke und Impressionen wollen nun zu Papier gebracht werden, bevor sie endgültig dahin sind. Aber wo beginnen? Und was gehört überhaupt erzählt? Dass ich am Österreicher-Stand gratis Kaffee bekam? Dass mir dort ein kleinwüchsiger Mann auffiel, der nicht nur in meinem Hotel weilte, sondern dem ich dann auch noch Tage später in der Thomaskirche (Bach!) über den Weg lief?  Oder jener österrei- chische Autor, der mir keinen reinen Wein, sondern hoch- prozentigen Schnaps einschenkte? Am Messestand.

Ist ja auch schon was, oder?   

 

Begonnen hat alles im Liegewagen. Eigenartige Intimität. Wer kommt auf die Idee, vier unbekannte Menschen auf vielleicht gerade mal 2m² schlafen zu lassen? Skeptisch wie ich bin, machte ich mir meine Gedanken, hörte mich im Vorfeld um („nimm Ohropax mit, falls einer schnarcht, oder einen Walkman“; „das untere Bett ist besser, falls du in der Nacht aufs Klo musst; „verlang eine Decke“) und wartete auf jene Fahrgäste, mit denen ich gleich ins Bett gehen würde. Da kamen sie also, die beiden Leipziger (nein, der eine kommt aus Halle/Sale, der andere, ja, wo kommt der andere nur her ... irgendwo aus dem Harth?), die beruflich im Nachtzug nach Wien, unter Tags ihren Job machten und Abends wieder im Nachtzug nach Haus. Früher hätte ich mir gedacht: warum nicht? Heute weiß ich: nie im Leben!

Es begann eine unterhaltsame Unterhaltung, sind beide doch in der Softwarebranche tätig. Dann die Frage, was ich denn auf der Buchmesse mache. Die Antwort ist nun eine Mischung aus lockerem Understatement und neugierig machendem Augenzwinkern: „Ich bin Schriftsteller“. Innerhalb der nächsten Minute kann man gut erkennen, woran man beim Gegenüber bzw. bei der Gegenüberin ist. Beginnen die Augen ein klein wenig zu leuchten, dann ist ein gewisses Interesse an einem und seiner Schreibkunst auszumachen. Selten, aber auch das kann einem schon mal passieren, dass die fremden Augen wie Suchscheinwerfer strahlen, in der Hoffnung oder im Glauben, es mit einer (baldigen?) Berühmtheit zu tun zu haben („Nein, ich bin nicht Stephen King. Seh ich etwa so hässlich aus?“).

Nach dem ich den beiden ein Exemplar in die Hand drückte, sie es von oben nach unten befingerten und durchblätterten (ganz wichtig! wenn du behauptest, Autor zu sein, dass hast du gefälligst ein Buch mitzuhaben, weil, nun ja, behaupten kann es ja jeder), geschah etwas höchst Erstaunliches. Einer von ihnen (wenn ich mir nur Namen merken könnte) nickte und fragte, ob er es mir abkaufen könne. Ich lächelte, er reichte mir zwei Scheine. Wechselgeld wollte er keines annehmen. Jetzt wäre die Geschichte hier beinah zu Ende, aber zu guter Letzt hat er auch noch ein gutes Feedback abgegeben. Ich denke, schon alleine deshalb hat sich die Reise gelohnt. Weil es mir vor Augen führt, dass man überall Menschen treffen kann, die einem etwas geben: nämlich das Gefühl, gute Arbeit geleistet zu haben, wofür sie gerne bezahlen. [„Die zwanzig Euro, welche ich spontan, dem Vertreter K im Zug in die Hand gedrückt habe, bereue ich auf keinen Fall.“]

Der Liegewagen hatte mich also in literarische Träume geschickt, aber die schnarchende Realität einer älteren Dame hat mich wieder aufgeweckt und in meiner ohropaxlosen Gelassenheit nicht mehr einschlafen lassen

Die Buchmesse ist halbwegs übersichtlich, halbwegs überblickbar (im Gegensatz zum Zonenfahrplan der Leipziger Verkehrsbetriebe). Trotzdem irrt man hin und wieder wie blöd herum. Sucht eine Lesung und findet einen interessanten Bücherstand. Sucht einen Bücherstand und findet eine interessante Lesung. So stolpere ich über die Ankündigung einer Lesung von Georg Stefan Troller. Nie gehört von ihm. Aber da er scheinbar Gott und die Welt interviewt und kennen gelernt hatte (Charles Bukowski, Alain Delon und Romy Schneider, Roman Polanski usw.), denke ich mir, ich hör mir das an. Und wie ich es mir angehört habe. Da kommt der beinah 90 Jahre alte Mann auf die Bühne, im Geiste fit und rege wie ich es mir nur wünschen möchte, macht der (wahrlich attraktiven) Verlagsdame ein Kompliment und liest und erzählt aus seinen Büchern, aus seinem Leben. Nach gut fünfzig Minuten endet die Chose und ich will sofort und auf der Stelle ein Buch von ihm haben und es mir signieren lassen. Aber gerade jenes, das ich möchte („Das fidele Grab an der Donau“) ist nicht am Büchertisch. Panik! Ich werde zur Messe-Buchhandlung geschickt, wo mir gesagt wird, dass die Bücher dieses Verlages hier nicht verkauft werden. Also zurück zum Messestand des Verlages, wo mir gesagt wird, dass Herr Troller kurz vorbei käme.

Ich seh mich also am Stand des Verlages um und wundere mich. Wie kann es sein, dass ich von diesem Verlag noch nie etwas gehört habe, obwohl er (auf den ersten Blick) gute Qualität bietet. Die Bücher sind ein Augen- schmaus. Die Aufmachung perfekt und stimmig. Schon beginnt die Illusionsmaschine in mir anzuspringen und projizierte meine Bücher auf die Regale. Was nun folgt ist das vernichtende Waterloo eines jeden an- gehenden Schriftstellers. Ich komme mit Wellington, in der Verkleidung eines Marketingmitarbeiters, ins Gespräch. Aber das ist eine andere Geschichte.

Georg Stefan Troller kommt zum Stand, ich bitte um eine Signierung. Er setzt sich (erst da fällt mir auf, dass er schon ein alter Herr ist), schlägt das Buch auf und überlegt kurz. Ich bekomme eine nette Widmung auf Französisch (er lebt in Paris). Wie ein Suchscheinwerfer strahlend stecke ich das Buch ein und leuchte mir den weiteren Weg.

Ich suche nicht einen, sondern den Luftschacht. Ein kleiner Wiener Verlag, den es erst seit 2001 gibt. Ich frag mich: Wer, bitteschön, glaubt heutzutage noch, mit verlegerischer Tätigkeit von guter äh, was heißt gut? Literatur gutes Geld äh, was heißt gut? verdienen zu können? Ich komme zur kleinen Koje (Kostenpunkt: etwa 800,- / auf der Frankfurter Buchmesse das Doppelte), in der es sich zwei Herrschaften gemütlich machen. Ich überlegte, ob ich mich aufdrängen und reinquetschen soll. Weil es immer etwas Unangenehmes hat (wenn man sensibel ist), die Schwelle eines Geschäftes zu übertreten und dann wieder zu gehen, ohne zu kaufen, während einem die enttäuschten Augen des Geschäftsinhabers folgen.

Da stehe ich also in dieser Koje (Liegewagengröße), einer, der Jüngere von beiden, macht Platz und verschwindet. Ich seh mir die Bücher an, blättere sie durch und spüre, hin und wieder, den Blick des anderen im Rücken. Also denk ich mir, na gut, dann kauf ich denen halt ein Buch ab. Nein, interessiert hat mich keines. Moderen Prosa juckt mich nicht die Bohne. Zu meist kommt sie mir zu übertrieben vor. Weil es selten um eine gut erdachte Geschichte geht, sondern viel mehr um die Aneinanderreihung stilistischer Satzketten, die dem Zeitgeist entsprechen. Ich nehme ein Buch vom Regal und drehe mich um, sage, dass ich es kaufen möchte. Doch es wird nur mit der Schulter gezuckt, weil er nicht der Verleger, sondern ein Autor wäre. Ich werde hellhörig (leuchten meine Augen jetzt auch?) und frage ihn, welches Buch er geschrieben hätte. Er deutet auf eines im Regal. Ich werfe das ausgesuchte Buch weg und nehme mir seines. Beseh es mir. „Fausts Fall“. Soll ich ihm jetzt sagen, dass ich Goethes Faust nur vom Durchblättern kenne?

Wir kommen (natürlich) ins Gespräch. Ich will eine Widmung (ist ihm das schon mal passiert, auf der Buchmesse?) und bekomme sie auch. Er lebt in Wien. Ich lebe in Wien. Er ist Schriftsteller, ich bin Schriftsteller (was ich aber nicht sage). Wir plaudern angeregt über Gott und seine Schreiberei. Sympathisch bis zum Abwinken. Die österreichische Ausgabe eines George Clooneys (mich wundert, warum es hier kein Frauengekreische gibt?! Vermutlich der Fehler des Verlages, der auf „literarisch seriös“ machen möchte). Schließlich gießt er mir Schnaps ein, wir trinken (er raucht, ich rauche passiv mit) und unterhalten uns weiter. Ich ver- sprech ihm, sein Buch zu lesen (was ich schließlich und endlich auf der Heimfahrt gemacht habe – 9 Stunden für 300 Seiten) und ihm ein Feed- back zukommen zu lassen (Kaffeehaus). Bevor ich also unentgeltliche Werbung für ihn und sein Bücherl mach, warte ich vorsichtigerweise einmal ab, ob es sich hier vielleicht nur um ein leeres, dampfgeplaudertes Messegeschwafel handelte. Spannend, nicht?

Was bleibt? Am Ende bleiben mir die persönlichen Begegnungen im Kopf. Der Zukunftsforscher Mathias Horx, dessen Kolumnen mich nicht sonderlich ansprechen, aber dessen Vortrag beeindruckend und Augen öffnend war (davon will ich mehr hören!). Der Schriftsteller und Bonhomme, ein Wiener der alten Schule im besten Sinne, Georg Stefan Troller, rührt(e) mit 86 Jahren an meiner Seele, weil er von einem literarischen Wien erzählte, das es nicht mehr gibt, das er aber noch flüchtig erleben durfte und in ihm zu erspüren war. Der auf-den-Boden-bleibende und zugängliche Autor Manfred Rumpl, dessen Sichtweisen den meinen nicht unähnlich sind aha! und dessen Buch, nach anfänglichem Leerlauf, mir zu gefallen wusste. Darf ich mehr erwarten?

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